Die Frei-religiöse Gemeinde Offenbach
Die Frei-religiöse Gemeinde ist mit ihren rund 1150 eingeschriebenen Mitgliedern zur Zeit eine der größten religiösen Minderheitsgruppen mit den Rechten einer Körperschaft in Offenbach.
Als liberale Religionsgemeinschaft umfasst sie ein Spektrum von religiösen Humanisten über rationalistische Pantheisten bis zu dogmenfreien Christen. Sie verzichtet auf die Erstellung allgemein verbindlicher Lehrmeinungen, bindet die Mitglieder nicht an Heilige Schriften, will nicht missionieren, will aber, dass die Mitglieder zu einer eigenen tragfähigen, stets überprüften toleranten Glaubensposition gelangen.
Die Frei-religiöse Gemeinde Offenbach entstand als eine der ersten in Deutschland. Ihr Gründungsdatum ist der 9. März 1845.
Die Gemeinde bildete sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts innerhalb des angesehenen Bürgertums der Stadt Offenbach durch Einwohner, die im Bereich von Bildung, Sozialbetreuung und Wirtschaftsleben engagiert waren und sich durch ihr Interesse an religiös-rationalistischer Reform und Engagement in politisch-demokratischen Veränderungen auszeichneten. Sie wollten sowohl Selbstbestimmung des Gläubigen in Sachen der Religion als auch Selbstbestimmung des Bürgers in Sachen der Politik; sie wollten Mitbestimmung in den Entscheidungen der Kirche wie Mitbestimmung in der Leitung des Staates.
Von besonderer Bedeutung waren die Offenbacher Geschäftsleute Joseph Pirazzi und Martin Kappus (später zum Ehrenbürger der Stadt Offenbach ernannt), der letzte ehrenamtliche Bürgermeister Johann Martin Hirschmann und der Sprachforscher Dr. Lorenz Diefenbach. Letzterer, der der geistige Kopf der sich bildenden Frei-religiösen Gemeinde war, wurde als Offenbacher Ehrenbürger als einziger Vertreter der Stadt ins nationale Vorparlament von 1848 gewählt.
Herkunft und Auftrag
Organisatorisch entstanden die meisten freireligiösen Gemeinden um 1845 aus denjenigen Kreisen, die sich sowohl vom sakramentalen und hierarchisch geprägten Katholizismus Roms als auch von dem orthodoxen und staatsfrommen Protestantismus des 19. Jahrhunderts loslösten. Sie erstrebten über enge Konfessionsgrenzen hinweg eine Reform des urchristlichen Glaubens, wurden aber bald aus den jeweiligen Kirchen ausgestoßen.
Nach der Zerschlagung der demokratischen, parlamentarischen Volksvertretung und der sie fördernden freien Religionsgemeinden entfernten sich diese recht schnell von den festgelegten Lehrinhalten des traditionellen Christentums. 1859 schlossen sich in Gotha „Deutsch-Katholiken“ und „Freie Protestanten“ oder „Lichtfreunde“ zum „Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands“ zusammen.
Durch die Betonung der Lebensprinzipien von Freiheit, Vernunft und Toleranz bildeten die Freireligiösen eine traditionskritische Anfrage an die bestehenden Kirchen.
Geistige Vorläufer der freireligiösen Bewegung sind zu finden:
– im antiken und vorchristlichen abendländischen Gedankengut
– in einigen Ketzerrichtungen des Christentums
– in der deutschen Mystik und der Religionsphilosophie des Ostens
– im linken Flügel der Reformation
– in den unitarischen und universalistischen Weltbewegungen
– im Idealismus und in der Aufklärungszeit
– in der Geistesbewegung zur deutschen Revolution von 1848.
Von den Grundprinzipien der Geistes-, Glaubens- und Gewissensfreiheit ausgehend, in denen der Wert und die Würde des einzelnen Menschen betont wird und aus denen sich gegenüber allen Lehren, Ideologien und Überlieferungen eine kritische, abwägende und vorsichtige Einstellung ergibt, haben sich das Glaubensgut wie auch das Gemeindeleben weiter entwickelt.
Wandel und Wesen freireligiösen Wirkens
Das geistige, religiöse und kulturelle Leben genauso wie die soziale, wirtschaftliche und politische Situation in Offenbach sind heute völlig anders als zur Zeit der Gemeindegründung im 19. Jahrhundert. Unsere Religionsgemeinde hat sich im Verlauf der Jahre so sehr gewandelt, dass ein Kirchgänger der damaligen Zeit seine Gemeinde heute kaum wiedererkennen und ein Gemeindemitglied der heutigen Generation sich wohl kaum in der deutsch-katholischen Gemeinde von 1845 heimisch fühlen würde.
Die grundlegenden Glaubenshaltungen einer dogmenfreien Religion sind jedoch geblieben, und freireligiöse Zielsetzungen von damals haben heute noch Gültigkeit:
– Religion ohne Hierarchie
– völlige Glaubens- und Gewissensfreiheit
– Selbstbestimmung der Mitglieder in allen religiösen Angelegenheiten
– Mitbestimmung in administrativen wie kultischen Belangen der Gemeinde
– soziale Gerechtigkeit, gleiche Rechte und Bildungsmöglichkeiten für alle Kreise der Bevölkerung
– Respektierung der natürlichen Quellen des Lebens
– Verbundenheit aller Menschen im Geiste der Humanität.
Die immer komplexer werdende und sich immer schneller wandelnde Welt hat aber sowohl die Art der Aussage, die Arbeitsweisen, die Organisationsbedingungen als auch die Formen des Gemeindelebens sich ändern lassen.
Organisation und Leben der Frei-religiösen Gemeinde zu Offenbach am Main
Die Frei-religiöse Gemeinde Offenbach war eine der ersten, die sich in den alten deutschen Fürstengrenzen bildete. Sie gehört heute zu den größten noch existierenden in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist Mitglied im „Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands“ und über diesen in der „Internationalen Humanistischen und Ethischen Union“ (International Humanist and Ethical Union – IHEU), und im „Weltbund für religiöse Freiheit“ (International Association for Religious Freedom – IARF).
Als Körperschaft des öffentlichen Rechts (K.d.ö.R.) mit ihrem obersten Verfassungsorgan, der Gemeindeversammlung, hat sie trotz ihrer vielfältigen regionalen, nationalen und internationalen Bindungen ihre Selbstständigkeit bewahrt.
Ihr Betreuungsgebiet sind vor allem Stadt- und Landkeis Offenbach, geht jedoch weit darüber hinaus. Gemeindeveranstaltungen mit:
– Sonntagsfeiern, Vorträgen, Diskussionen und Festen
– Gruppenaktivitäten der Jugend, der Erwachsenenbildung und der Senioren
– Unterricht und Kulthandlungen wie Taufe, Konfirmation, Trauung und Bestattung
– seelsorgerische Betreuung, individuelle Beratung und soziale Fürsorge
– Herausgabe von Veröffentlichungen und Öffentlichkeitsarbeit
All das entspricht im bescheidenen Rahmen dem Angebot der christlichen Kirchen. Die geistigen Inhalte unterscheiden sich jedoch vielfältig.
Obwohl die Gemeinde immer sehr wachsam sein muss, dass sie als Minderheitsgruppe nicht ins Abseits gedrängt wird, kann zumindest für den Bereich der Stadt Offenbach auf eine Situation des Respektierens und gegenseitigen Informierens im religiösen und im gesellschaftlichen Bereich verwiesen werden.
Das Gemeindezentrum liegt in der Stadtmitte und umfasst in drei Gebäuden die Weihehalle, das Jugendheim und die Gemeindeverwaltung.